Es ist Dienstag der 9. Oktober. Ziemlich genau ein Jahr nachdem Sebastian und ich uns für eine Expedition nach Nepal entschieden haben ist es endlich soweit. Ich sitze nun mit ihm und dem Ötztaler Vitus, den wir noch zusätzlich ins Boot geholt haben, im Flieger Richtung Kathmandu. Ein großer, lang ersehnter Traum sollte hoffentlich bald in Erfüllung gehen.Sebastian habe ich während meiner zwei Jahre, die ich in Kufstein gewohnt habe, kennen gelernt und wir haben immer wieder etwas zusammen unternommen. Vitus kannte ich allerdings bislang nur vom Hörensagen. Doch bei einer lässigen Erstbegehung im Kaiser, die wir drei Ende August unternommen haben, habe ich bald gemerkt, dass wir durchaus ein gutes Team werden können.
Nachdem wir in Kathmandu oder besser gesagt „Dustmandu“, wie unser Taxifahrer so schön sagte, von Kanchha, dem Chef unserer Agentur „Amis Himalayan Adventure“ empfangen wurden, ging es bald darauf zum Meeting mit irgendwelchen Typen der Regierung. Unseren ursprünglichen Plan, den Himjung von seiner Ostseite zu besteigen, ließ sich jedoch auch hier nicht mehr durchbringen. Kathmandu ist eine heftige, jedoch auch gleichzeitig eine interessante und eindrucksvolle Stadt. Nicht vergleichbar mit der westlichen Welt. Nach diesem Kulturschock war ich dann sehr froh der Hektik und dem Lärm der Großstadt entfliehen zu können.
In zwei Tagen ging es nun zum Teil über sehr abenteuerlichen Straßen mit dem Kleinbus bis nach Besisahar und weiter mit dem Jeep nach Koto (2500m). Mit 10 Maultieren für unser Gepäck, unserem Guide und Koch Kami, unserem Küchenjunge und Träger Dawa sowie Furi ging es nun endlich richtig los. Ein Drei-Tages-Marsch über Meta (3500m) und Chyakhu(3700m) lässt uns das letzte bewohnte Örtchen Phu- Gaon auf ca. 4000m erreichen. Der oft sehr ausgesetzte Pfad schlängelt sich durch steile, ausgemeißelte Felswände und tiefe Schluchten Es ist eine sehr beeindruckende Landschaft, die mit zunehmender Höheimmer karger und rauer geworden ist. Es ist sehr beeindruckend, wie einfach und ohne viel Schnick Schnack diese Menschen in dieser Abgeschiedenheit leben und dennoch immer einen sehr zufriedenen und glücklichen Eindruck auf mich gemacht haben. Am 19. Oktober war es dann soweit und wir richteten auf ca. 4900m unser Basecamp ein. Die vier gewaltigen 7000er Himlung, Himjung, Nemjung und Gyaji Kang schmückten den Hintergrund unseres Basecamps und machten dieses zu einem sehr eindrucksvollen Platz.
Es war für uns sehr wichtig genügend Zeit für eine gute Akklimatisierung sowie den Gipfel zu haben. Unsere erste dreitägige Akklimatisierungstour führte uns in Richtung Gyaji Kang, wo wir unsere höchste Nacht auf ca. 5900m verbrachten und unser höchster erreichter Punkt auf 6000m lag. Von hier oben konnten wir sehr gut auf den Himjung einsehen und uns ein Bild möglicher Auf-und Abstiegsvarianten machen.
Nach einem dringend notwendigen Ruhetag im BC wollten wir dieses Mal näher an den Himjung und beschlossen in Richtung Nemjung Pass zu akklimatisieren. Es war ein sehr anstrengendes und nerviges Gehen über losen und rutschigen Moränenschutt, der die langen Gletscher teilweise bedeckt. An diesem Tag sind wir ca. 1300 Höhenmeter vom BC bis zu unserem Zeltplatz auf 6000m aufgestiegen, was sich im Nachhinein als nicht so klug heraus gestellt hatte. Wir waren am nächsten Tag richtig platt und schlugen so unser Zelt nur 200 Höhenmeter höher auf 6200m auf. Jedoch hatten wir hier einen sehr guten Blick auf die Silhouette des Westgrates, der uns schon länger ins Auge stach.
Nach diesen zwei Akklimatisierungstouren fühlten wir uns relativ fit für die Höhe und wir waren mit den Abläufen wie Zelt aufbauen, Schnee schmelzen usw. ein gut eingespieltes Team.„Aufkommender Jetstream auf 7000m mit bis zu 90km/h am 1. November, verstärkt am 2. November.“ Das war die Wettervorhersage von Karl Gabl für die nächsten Tage. Das brachte ein zweites Mal unseren Plan, vor allem aber unsere geplanten Ruhetage durcheinander. Eigentlich hatten wir 4 bis 5 Tage für unsere bevorstehende Gipfelbesteigung eingeplant. Wir mussten erneut umplanen und starteten somit direkt am nächsten Tag. Wir hatten nur maximal 3 Tage Zeit. Darum minimierten wir unsere Ausrüstung auf das Wesentlichste, um möglichst leicht und schnell unterwegs sein zu können.Nach einer fast schlaflosen Nacht starteten wir um 7:30 Uhr vom BC. Nicht genau wissend was uns da oben wirklich erwartet. Von den Fehlern der Akklimatisierungstour gelernt marschierten wir in einem sehr gemütlichen Tempo, um uns keinesfalls zu übernehmen. Es ging wieder über den schon bekannten Pangri Gletscher zum Fuße des Himjung Westgrates und über abermals sehr anstrengend zu gehendes Gelände, zügig vorbei an bedrohlich aussehenden Eistürmen, auf den Himjung Gletscher. Ab hier begann der Schnee und wir seilten uns an. Der Gletscher wurde steiler und Sebastian spurte, wie so oft auch zuvor, im zick zack durch die Spalten. Unser geplanter Lagerplatz, den wir die Tage zuvor mit dem Fernglas ausfindig zu machen versuchten, bestätigte sich und so waren wir fast pünktlich zum Sonnenuntergang am Fuße der „Sichel“. Hier richteten wir in gewohnter Routine unser Camp1 auf 6150m ein.
„Auf geht’s, aufstehen!“ So wurden wir schon wieder um 22:00 Uhr, nach zwei sehr kurzen Stunden Schlaf von Sebastian geweckt. Wasser schmelzen, Flaschen füllen und den Rucksack packen. Wir haben zuvor schon beschlossen Zelt, Schlafsack und Matten zurück zu lassen. Im Schein der Stirnlampe starteten wir, Sebastian und ich zuerst fast zu übermotiviert, los. „Im Stil der Wühlmaus“, wie Sebastian es immer so schön bezeichnete, kletterten wir einige Meter in sehr losem, steilem Schnee, bevor wir dann eine atemberaubende und schöne 50° bis max. 55° steile Flanke emporkletterten. Die nicht enden wollende Flanke mündete dann über in einen schmalen und überwechteten Firngrat. Die Ausgesetztheit konnten wir im Schein der Lampe nur erahnen. Ich hatte absolut kein Zeitgefühl mehr und kletterte nur so vor mich hin, immer konzentriert auf den nächsten Schritt. Nach einiger Zeit standen wir dann alle zusammen als wohl erste Seilschaft auf dem 6609m hohen vorgelagerten Gipfel des Himjung. Was für ein Gefühl, welches nicht lange anhielte, da wir weiter mussten.Die Temperatur war sehr angenehm und vom Wind war auch noch nichts zu spüren. Nach einigem Auf und Ab kamen wir an einen felsigen Einschnitt im Gratverlauf. Doch wir konnten auch hier einen vernünftigen Weg finden und die Stelle ohne Seilsicherung klettern. Nach ca. 6 h Kletterei erreichten wir den tiefsten Einschnitt am Grat und der Berg steilte sich noch einmal so richtig auf. Doch so langsam befiel uns die Erschöpfung. Diese Art von Müdigkeit habe ich zuvor noch nie erlebt.Wir beschlossen eine kurze Pause einzulegen und uns im Biwaksack zu verkriechen, den ich jedoch sofort wieder verlassen musste. Ich versuchte mich in einem Schneeloch auf meinen Rucksack zu kauern und irgendwie zu dösen.
„Iats magsch mi anhängen“ habe ich zu Sebastian gesagt, als wir zu der nahezu senkrecht aussehenden und aus losem Schnee bestehenden Wandkamen, welche natürlich bei Weitem nicht senkrecht war. Jedoch hatte ich ein besseres Gefühl, als wir diese Stelle mit drei Seillängen, gesichert an Firnankern, überwinden konnten. Mit zunehmender Höhe legte nun auch der Wind immer stärker zu und es wurde immer ungemütlicher und kälter. Die letzten 200 Höhenmeter schienen unendlich zu sein. Jeder kämpfte sich Höhenmeter um Höhenmeter dem Gipfel entgegen, bis wir dann plötzlich bei Windstille und strahlend blauem Himmel um ca. 9:00 Uhr als zweite Seilschaft überhaupt am Gipfel des Himjung standen. Das Gefühl war überwältigend, jedoch fühlte ich mich wie in einer anderen Welt.
Nach einer fast zu langen Gipfelrast, gewärmt von den warmen Sonnenstrahlen, jedoch der Höhe ausgesetzt, begann der Abstieg über den bis dahin noch unbestiegenen Nordgrat. Wir mussten an einigen Stellen in die steile Westflanke ausweichen, das noch einmal vollste Konzentration benötigte. Einen Fehltritt konnte man sich nicht leisten. Ein letzter Gegenanstieg am Grat, bevor wir den einfachen Gletscherrücken erreichten auf dem wir schnell Höhenmeter verlieren konnten, verlangte uns noch einmal alles ab. Wir waren körperlich fix und fertig. Nichts wie runter. In Gletscherseilschaft ging es einige hundert Höhenmeter abwärts wo wir unsere Kräfte in der wärmenden Sonne mit sensationellem Blick auf unsere Erstbegehung noch einmal aufladen konnten. Ich schlief sogar beim Schnee schmelzen auf meinem Rucksack kurz ein. Man würde am liebsten einfach liegen bleiben. Weiter geht’s, abwärts über den Gletscherrücken der bald überging in felsiges Gelände und prompt vor einem 100-Meter-Abbruch endete, der zum Himjung Gletscher nahezu senkrecht abbrach.
Unsere körperliche Verfassung wurde zunehmend schwächer und in 2 Stunden wurde es dunkel. Eine Nacht zu dritt in einem Zwei-Mann-Biwaksack ohne Schlafsack in unserem Zustand - ich darf nicht daran denken. Doch wir blieben ruhig. Nach sehr langen Überlegungen und Diskussionen konnten wir unter hohem Risiko einen Weg finden, der uns ohne große Schwierigkeiten, jedoch unterhalb großer Seracs, zum Himjung Gletscher hinab führte. Ein riesiger Stein fiel uns vom Herzen. Der restliche Weiterweg über den Gletscher zurück zu unseren Spuren und der Aufstieg in der Dunkelheit zurück zu unserem Lager ließ uns noch einmal an unsere Grenzen stoßen und es war noch ein Kampf gegen den „inneren Schweinehund“.
Als wir am nächsten Tag um ca. 16:00 Uhr im Basislager ankamen, sah man schon die Schneefahnen über die Gipfel hinwegziehen. Wir waren sehr zufrieden und überglücklich, dass uns eine solch gewaltige Erstbegehung geglückt ist.Es war für Sebastian, Vitus und mich die erste große Expedition und Erfahrung an den hohen Bergen des Himalayas.